Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma: So spielte sie sich ab

Jan Philipp Reemtsma, Entführung, Verbrechen, Thomas Drach, Lösegeld
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Im März 1996 erschütterte die Entführung von Jan Philipp Reemtsma, einem der reichsten Männer Deutschlands, das ganze Land. Die Tat, die 33 Tage andauerte, führte zu einer der spektakulärsten Kriminalgeschichten der deutschen Nachkriegsgeschichte.

DIE SCHLIMMSTEN VERBRECHEN DEUTSCHLANDS

Der millionenschwere Erbe und Literaturwissenschaftler wurde in Hamburg von einem bewaffneten Entführer gekidnappt und erst nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen. In diesem Artikel beleuchten wir u. a. die Hintergründe der Entführung sowie die dramatischen Ereignisse während der Geiselnahme.

Wer ist der Jan Philipp Reemtsma und woher stammt sein Vermögen?

Jan Philipp Reemtsma war 1996 nicht nur als Erbe des millionenschweren Tabakdynastie-Vermögens bekannt, sondern auch als renommierter Literaturwissenschaftler und Mäzen. Seine Familie hatte über Generationen hinweg ein Vermögen durch die Reemtsma Cigarettenfabriken angehäuft, eines der größten Tabakunternehmen Europas, das in den 1920er und 1930er Jahren massiv wuchs.

Reemtsmas Vater hatte das Unternehmen erfolgreich durch die schwierige Nachkriegszeit geführt, bevor die Familie es 1980 an den Konzern Tchibo verkaufte (laut einem Bericht von Deutsche Welle verkaufte dieser es wiederum für 5,2 Milliarden Euro an Imperial Tobacco). Jan Philipp Reemtsma selbst war nicht in das Tabakgeschäft involviert, sondern nutzte das Familienvermögen, um sich der Wissenschaft und dem kulturellen Mäzenatentum zu widmen. Als Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung und Förderer von Wissenschaft, Kunst und Kultur hatte er sich bereits einen Namen in der deutschen intellektuellen und kulturellen Szene gemacht. Neben seinem familiären Hintergrund trat Reemtsma vor allem als bedeutender Unterstützer von Projekten zur Aufarbeitung der NS-Geschichte und der Gewaltforschung in Erscheinung.

Heute ist Jan Philipp Reemtsma weiterhin eine zentrale Figur im deutschen Kultur- und Wissenschaftsbetrieb. Er führt die Arbeit des von ihm gegründeten Instituts fort und engagiert sich nach wie vor für gesellschaftspolitische Themen, insbesondere in den Bereichen Erinnerungskultur und Gewaltforschung. Seine persönliche Erfahrung als Entführungsopfer hat ihn stark geprägt, was auch in seinem Buch Im Keller, in dem er die Entführung und ihre psychologischen Auswirkungen verarbeitet, deutlich wird. Trotz dieses traumatischen Ereignisses bleibt Reemtsma ein aktiver und einflussreicher Denker im intellektuellen Leben Deutschlands.

Warum wurde Reemtsma zur Zielscheibe?

Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma wurde von Thomas Drach, einem mehrfach vorbestraften Kriminellen, und seiner Bande geplant. Drach wählte Reemtsma gezielt als Opfer aus, weil dieser als einer der reichsten Männer Deutschlands galt und durch sein öffentliches Auftreten bekannt war. Als Erbe eines riesigen Tabakvermögens und prominenter Mäzen war Reemtsma in der Öffentlichkeit präsent, was ihn für Drach als lukratives Entführungsziel erscheinen ließ.

Drach und seine Komplizen vermuteten, dass die Familie bereit wäre, ein hohes Lösegeld zu zahlen, ohne zu zögern. Diese Kombination aus Reichtum, Bekanntheit und relativer Verwundbarkeit (Reemtsma schien zum Zeitpunkt der Entführung keinen Personenschützer an seiner Seit gehabt zu haben) machte Reemtsma für die Entführer zur idealen Zielperson.

Der Ablauf der Entführung von Jan Philipp Reemtsma

Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma ereignete sich am Abend des 25. März 1996 vor dessen Villa im Hamburger Stadtteil Blankenese. Der NDR schreibt zu dem Moment:

Am Abend des 25. März 1996 verlässt Jan Philipp Reemtsma sein Wohnhaus in Hamburg-Blankenese. Er will sich einen entspannten Abend machen. Aus seinem Arbeitshaus, das nur 50 Meter weit entfernt auf demselben Grundstück liegt, will er ein paar Bücher holen.

Dabei wurde er allerdings von Thomas Drach und einem Komplizen überrascht. Sie bedrohten ihn mit einer Waffe und zwangen ihn, in einen Transporter zu steigen, den sie in der Nähe geparkt hatten. Reemtsma, völlig überrumpelt, leistete keinen Widerstand. Die Täter fesselten ihn und brachten ihn in ein Versteck, das sie in einem Keller vorbereitet hatten. Dieser Keller, in der Nähe von Bremen gelegen, sollte für die nächsten 33 Tage Reemtsmas Gefängnis sein.

Während der Geiselnahme wurde Reemtsma in einem fensterlosen Raum festgehalten, der nur spärlich eingerichtet war. Die Entführer hatten den Raum so vorbereitet, dass es keinerlei Möglichkeit für Reemtsma gab, Signale nach draußen zu senden oder zu entkommen. Die Bedingungen waren hart: Er war an Händen und Füßen gefesselt und wurde regelmäßig mit Augenbinden versehen, um jede Orientierung zu verhindern. Die Entführer gaben ihm nur das Nötigste an Nahrung und Wasser und kommunizierten kaum mit ihm, um seine psychische Verfassung zu destabilisieren. In der Zwischenzeit begann die Bande, mit der Familie von Reemtsma in Kontakt zu treten und eine Lösegeldforderung von 20 Millionen D-Mark (etwa 10 Millionen Euro) zu stellen, das laut arte später auf 30 Millionen D-Mark erhöht wurde.

Parallel zur Entführung begann eine dramatische Lösegeldverhandlung, bei der die Entführer anfangs über verschiedene Kanäle Forderungen stellten, darunter handgeschriebene Briefe und Audiobotschaften, die sie der Familie zukommen ließen. Reemtsmas Ehefrau und sein enger Freundeskreis arbeiteten eng mit der Polizei zusammen, die jedoch zunächst nur wenig Anhaltspunkte hatte, um die Entführer aufzuspüren. Obwohl die Polizei eingeschaltet war, versuchte die Familie, auf die Forderungen der Entführer einzugehen, um Reemtsma nicht zu gefährden. Nach zähen Verhandlungen und mehreren Fristverlängerungen gelang es laut Stern, einen Teil des Lösegelds in Höhe von etwa 15 Millionen D-Mark und12,5 Millionen Schweizer Franken zu übergeben, woraufhin die Entführer nach weiteren Tagen Reemtsma schließlich freiließen.

Am 26. April 1996, nach 33 Tagen in Gefangenschaft, wurde Reemtsma in einem Waldgebiet in der Nähe von Leipzig freigelassen. Er kehrte nach Hamburg zurück, wo die Polizei weiterhin fieberhaft nach den Tätern suchte.

Die Fahndung nach den Tätern

Nach der Freilassung von Jan Philipp Reemtsma begann eine intensive Fahndung nach den Entführern, die sich zunächst erfolgreich absetzen konnten. Die Polizei konnte einige Spuren sichern, aber die Täter blieben über ein Jahr lang unentdeckt. Der entscheidende Durchbruch kam erst 1998, als Thomas Drach, der Haupttäter, in Argentinien aufgespürt und festgenommen wurde. Drach hatte sich mit einem gefälschten Pass nach Südamerika abgesetzt und lebte dort unter falscher Identität. Durch internationale Polizeiarbeit und die Kooperation mit den argentinischen Behörden gelang es schließlich, ihn zu verhaften. Drach wurde nach Deutschland ausgeliefert und vor Gericht gestellt. Seine Komplizen wurden ebenfalls nach und nach gefasst, unter anderem durch die Verfolgung von Geldflüssen aus dem Lösegeld, das nicht vollständig wiedergefunden wurde.

Thomas Drach wurde im Jahr 2000 zu einer 14-jährigen Haftstrafe verurteilt. Während seiner Haftzeit zeigte er kaum Reue und gab lange Zeit keine detaillierten Informationen über das Verbleiben des gesamten Lösegelds preis. Einige seiner Komplizen erhielten ebenfalls hohe Haftstrafen, wobei die meisten ihre Strafen vollständig absitzen mussten. Drach selbst wurde im Jahr 2013 vorzeitig entlassen, nachdem er zwei Drittel seiner Strafe verbüßt hatte.

Thomas Drach wird erneut kriminell

Thomas Drach geriet nach seiner Entlassung im Jahr 2013 erneut in die Schlagzeilen. Er führte nach seiner Haft kein unauffälliges Leben, sondern wurde wieder in kriminelle Aktivitäten verwickelt. Im Jahr 2021 wurde er in den Niederlanden festgenommen, nachdem er mehrere Geldtransporter in Deutschland überfallen hatte. Diese neuen Taten führten dazu, dass Drach wieder vor Gericht gestellt wurde. Laut einem Bericht der FAZ vom Januar 2024 "hat das Landgericht Köln den Reemtsma-Entführer am Donnerstag zu 15 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung wegen mehrerer Raubüberfälle verurteilt."

Jan Philipp Reemtsma hat ein Buch über das Erlebte geschrieben

Jan Philipp Reemtsma hingegen hat sich nach seiner Entführung weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, wenn es um das Thema seiner Entführung geht. In seinem Buch Im Keller hat er 1997 seine traumatischen Erlebnisse ausführlich verarbeitet, doch Interviews zu dem Thema meidet er heute weitgehend.

Obwohl er die Entführung psychisch schwer belastete, hat er das Erlebnis öffentlich reflektiert und mit der Zeit anscheinend einen Weg gefunden, damit umzugehen. Seine Erfahrung als Entführungsopfer bleibt ein tiefgreifender Teil seiner Biografie, doch er hat es geschafft, diese dunkle Episode seines Lebens größtenteils hinter sich zu lassen.

In seinem Buch schreibt sein Sohn Johann laut NDR dazu:

Auch wenn wir letztendlich (...) gut aus dieser Zeit hervorgegangen sind - hier hat das Böse gesiegt. Wir alle drei kennen diese Momente, wenn das alles wieder für eine Sekunde aufblitzt.

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Verwendete Quellen:

Deutsche Welle: Reemtsma verkauft

NDR: Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma vor 25 Jahren - 33 Tage in Gefangenschaft

arte: »Wie verletzlich Familie ist«

Stern: Versickert und verprasst: Das verfluchte Geld des Reemtsma-Entführers

FAZ: Reemtsma-Entführer Thomas Drach zu 15 Jahren Haft verurteilt

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